Digitalformate
Nicht erst die Corona-Pandemie und ihre Lockdowns haben die Vorteile digitaler Medien und Formate in der historischen und kulturellen Vermittlungsarbeit sichtbar werden lassen. Neben den visuellen Formaten erleichtern Datenbanken mit strukturierten historischen und biographischen Informationen die Forschung und ermöglichen das Gedenken – weltweit. Denn sie erreichen auch die Nachkommen der ehemaligen deutschen Jüdinnen und Juden. So stand die Erinnerungskultur im Vordergrund der von mir konzipierten und umgesetzten Projekte.
Die jüdische Geschäftswelt an der Kaiserstraße
Die Kaiserstraße in Würzburg entstand erst in den 1870er Jahren als neue Verbindung zwischen Bahnhof und Innenstadt. Hier siedelten sich überdurchschnittlich viele Geschäfte, Firmen, Praxen und Kanzleien jüdischer Gründer und Gründerinnen an. Denn zu gleichen Zeit wuchs die Jüdische Gemeinde stark an. Seit 2018 erinnert eine von mir initiierte Gedenkstele am sog. Kaisergärtchen an die jüdische Geschäftswelt dieser Straße.
Die WebApp zur Kaiserstraße erzählt anschaulich die Geschichte der Straße und ihrer jüdischen Firmen nach den Hausnummern. Sie bietet die historischen Informationen zu der Gedenkstele. Ausgangspunkt ist der Status quo nach dem Adressbuch von 1930. Zu jeder Geschäftsadresse werden die Biographien der jeweiligen Besitzer und Besitzerinnen seit der Geschäftsgründung vorgestellt, darunter auch mehrere Frauen. Die NS-Verfolgungen zerstörten wie so vieles andere auch die jüdische Geschäftswelt auf der Kaiserstraße und ließen sie in Vergessenheit geraten.
Der Erinnerungsweg entlang der Deportationsstrecke in Würzburg
Im regionalen NS-Verfolgungsgeschehen nahm Würzburg eine zentrale Rolle ein: Von hier wurden die meisten unterfränkischen Juden und Jüdinnen deportiert. Der größte Teil von ihnen legte dabei die Strecke zwischen dem Sammellokal im Platz’schen Garten und dem Aufgang zum ehemaligen Güterbahnhof in der Aumühle zurück, wo die Züge starteten. Seit 2010 wurde der Weg mit einem kleinen Denkmal am ehemaligen Platz’schen Garten und mit fünf Stelen zum Erinnerungsweg ausgebaut.
Hierzu entwickelte ich die WebApp Stationen. Sie führt Nutzerinnen und Nutzer ein in die historischen Hintergründe des Deportationsgeschehens – aus Sicht der Opfer. Jeder Stele bzw. Station ist ein anderes Thema zugeordnet. Fotos, kurze Texte, Übersichten, Quellen, Zeitzeugenaussagen und Videos erlauben einen ganz individuellen Zugang zum Thema.
Der DenkOrt Deportationen vor dem Hauptbahnhof
Von Anfang an war für den Abschluss dieses Weges ein „DenkOrt Deportationen“ geplant. Aus statischen Gründen ließ er sich an der Aumühle jedoch nicht realisieren und wurde schließlich vor dem Hauptbahnhof als dem zweiten Deportationsbahnhof gebaut. Koffer symbolisieren die zerstörten jüdischen Gemeinden und die von dort deportierten Menschen.
Zu der Gedenkstätte für ganz Unterfranken gehört eine Website mit umfangreichem historischen Informationsangebot unter dem Titel „DenkOrt 2.0“. Sie stellt Idee und Umsetzung des Projekts vor, besteht jedoch vor allem aus den systematisch recherchierten Biographien aller jüdischen Menschen, die aus Unterfranken deportiert wurden. Sie werden ihren Wohnorten im Jahr 1933 zugeordnet und ortsweise angezeigt.
2 069 Menschen wurden aus Unterfranken deportiert. Sie lebten in 109 jüdischen Gemeinden und mehr als 30 weiteren Wohnorten ohne jüdische Gemeinde. Die Ansiedlungen bestanden oft schon seit Jahrhunderten. Artikel zu allen Gemeinden und Wohnorten stellen sie vor. Diese gehen vor allem darauf ein, was in jedem einzelnen Ort ab 1933 passierte und wo seine jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner unter dem Verfolgungsdruck blieben. Denn viele Menschen verließen ihren Wohnort, flohen ins Ausland oder zogen in größere Städte in Deutschland. Shoa-Opfer findet man nicht nur unter den Personen, die aus dem Ort deportiert wurden, sondern auch unter denen, die aus dem Ort flohen. Alle Shoa-Opfer, die 1933 im Ort gelebt hatten, werden am Ende des jeweiligen Artikels aufgelistet.
Unter dem Titel „Spurensuche am DenkOrt“ habe ich schließlich ein drittes online-Angebot direkt für die Gedenkstätte recherchiert und gestaltet. Illustrierte Geschichten widmen sich ausgewählten Gepäckstücken sowie den Menschen der historischen Fotos auf den Stelen. Dabei stehen ganz besonders Kinder im Mittelpunkt. Direkt am DenkOrt gibt es allerdings noch keinen Hinweis und keinen QR-Code auf die „Spurensuche“.
Biographische Datenbank jüdisches Unterfranken
Bereits seit Beginn des DenkOrt-Projekts bestand eine enge Kooperation mit dem Verein „Jüdisches Leben in Unterfranken“ und seiner Biographischen Datenbank jüdisches Unterfranken. Sie bietet die grundlegende Struktur für die Erfassung der personenbezogenen Daten und die neu verfassten Gedenkbiographien. Für die Deportierten, die fast alle ermordet wurden, wurde eine eigene Gedenkseite eingerichtet. Sie ermöglicht es, nach den Wohnorten der Betroffenen im Jahr 1933 und den einzelnen Deportationen zu suchen. Die biographischen Daten auf der DenkOrt-Seite wurden bis zum Sommer 2021 von hier ausgespeist, seitdem aber nicht mehr aktualisiert.
Bildnachweise
Fotos: Header: Rotraud Ries (im Folgenden RR); RR, Screenshot App; RR, Screenshot App; RR, Screenshot „Spurensuche am DenkOrt“